Markus 1:6

Und Johannes war gekleidet in Kamelhaar mit einem ledernen Gürtel um seine Lende, und aß Heuschrecken und wilden Honig; (Textbibel 1899)

Dieser kurze Hinweis auf Johannes' Bekleidung und Ernährungsweise will nicht nur dessen Prophetentum in den Vordergrund stellen. Es deutet auch darauf hin, dass er den allgemein zumindest angestrebten Lebensstil der entfremdeten „Mammon-Welt“, die auch die jüdischen Provinzen des Imperium Romanum durchaus bestimmte, hinter sich gelassen hatte. Um die „Stimme“ des göttlichen Gesamtprozesses wieder vernehmen zu können, hatte er die Orientierung nach Bequemlichkeit und Komfort, welche so sehr zur geistigen wie körperlichen Entfremdung in der warenwirtschaftlichen Unkultur (… Warenwirtschaft zeichnet quasi alle „Hochkulturen“ aus ...) beiträgt, vollkommen abgestreift. Er war ein asketischer Bewohner der Wüste, genau jenes Ortes der natürlichen Gottesnähe, wohin Moses einst das Volk Israel aus Ägypten heraus führte.

In guter prophetischer Tradition beschritt Johannes den Weg der Askese und Abstinenz als Einzelner. Sein prophetisches Talent befähigte ihn, die vielen Leidformen der Unkultur früher als andere als Ausdruck von Gottesferne zu erkennen. Die Masse der Menschen in Judäa und Jerusalem dagegen war zu tief im Mammon verstrickt. Ihr Leidbewusstsein darin war noch zu schwach, um ein entsprechendes Bedürfnis nach Überwindung und Umkehr hervorrufen zu können. Seine erhöhte Sensibilität gegenüber der unkulturellen Entfremdung lässt zunächst den Wunsch in Johannes reifen, den Einfluss der Unkultur durch einen Rückgang auf eine zivilisationsferne, ja eigentlich zivilisationslose, völlig naturnahe Lebensweise wirkungslos werden zu lassen, um so den alles bestimmenden natürlichen Gesamtzusammenhang wieder vernehmen zu können.

Johannes' Verzehr von Heuschrecken und wildem Honig wie auch seine „primitive“ Bekleidung weist noch auf etwas anderes hin. Es gibt vielleicht einen ersten Einblick bzw. Ausblick auf das, was die „Umkehr“ und die daraus resultierende neue Lebensweise kulturell beinhalten könnte. Anstatt, wie in der Unkultur, die außermenschliche Welt nach entfremdet verselbständigten bloßen Vorstellungen zu verändern, findet hier mit diesem von der Natur kommenden Lebensstil das Gegenteil statt: der Mensch passt sich der gegebenen „außer-menschlichen“ Welt (… hier der kargen Wüste ...) an und wird so zur bewusst empfangenden „geistigen Substanz“, in welcher sich Gott, die Gesamtnatur abbildet und dann wieder durch den bewussten Menschen zum Ausdruck bringt. Dabei spielt es keine Rolle, welcher Art diese Natur je ist: karge Wüste, milde Mittelmeerküste, üppiger Regenwald oder ewiges Eis. Wahre Kultur ist gespiegelte Natur, muss immer von der Natur, vom göttlichen Gesamtprozess her, geprägt sein und so wieder auf die Natur harmonisch zurück wirken.

Neuformulierung: Und Johannes entzog sich den Einflüssen der Entfremdung, befreite sich, indem er dem Lebensstil der Unkultur radikal entsagte und sich der Natur, dem göttlichen Gesamtprozess demütig aussetzte und anpasste: er kleidete sich in Kamelhaar mit ledernem Gürtel um seine Lende und aß Heuschrecken wie auch wilden Honig.

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