Markus 1:5

Und alle aus Judäa und Jerusalem gingen hinaus zu ihm und ließen sich von ihm im Jordan taufen, indem sie ihre Sünden bekannten. (Eigenformulierung basierend auf der griechisch-englischen Übersetzung in bibletext.com, auf der Textbibel 1899 und der Einheitsübersetzung 1980)

Dieses „Hinaus-Gehen“ „aller aus Judäa und Jerusalem“ zu Johannes, dem Rufer in der Wüste, zu demjenigen, der die völlige „Umkehr“ forderte, das Abstreifen von Sünde und Entfremdung, spiegelt zunächst einmal die Identifikation der damaligen Juden im römischen Palästina mit dem Volk jener Israeliten, die unter Moses aus dem Land der Sünde, „Ägypten“, in die Wüste der Gottesnähe zogen. Es sind die religiösen und sogar physischen Nachfahren Israels, das gesamte damalige Volk der Juden-Israeliten („alle aus Judäa und Jerusalem“), die sich von Johannes „taufen“ ließen und sich damit in ihrer Identifikation mit dem Volk Mose bestärkten. Sie wollten damit vielleicht auch kundtun, dass sie vor allem nicht der damaligen Inkarnation „Ägyptens“, dem römischen Imperium, angehörten oder gar frönten. Vor Johannes und den übrigen Juden wollte jeder durch die Taufe öffentlich sagen: „Ich bin kein Römer, kein Sünder, kein Ungläubiger, sondern vorrangig ein Mitglied des „von Gott auserwählten Volkes“ Israel. Und meine Sünden als mehr oder weniger erzwungene Anpassung an die kulturellen Zwänge Roms, wasche ich mit diesem Bekenntnis zur ursprünglichen Umkehr, zum kollektiven Auszug aus Ägypten und zum Volk Israel – einfach wieder rein!“

Diese Besinnung der Juden auf ihren Zug aus Ägypten in die Wüste mit der Taufe durch Johannes im Jordanfluss, dessen Überquerung sie einst direkt in das „gelobte Land“ der Umkehr führte, entsprach jedoch kaum einem authentischen und tiefen Sünd- und Umkehrbewusstsein. Wenn dem so gewesen wäre, wären sie alle am Jordan bei Johannes geblieben! Davon wird aber nichts berichtet. Sie kehrten im Gegenteil zurück in jenes Land von Judäa und Jerusalem, das schon lange von der generellen mammonistischen Unkultur und jetzt speziell von der griechisch-römischen Unterabteilung dieser Unkultur geprägt war. Sehr überspitzt gesagt: Das Volk ging seinen „Geschäften“ nach, lebte also in der Entfremdung des Mammonismus, geht dann am Sabbath in die Synagoge (wie viele von uns heute in die Kirche) oder auch zur äußerlichen Identifikation und bloß rituellen Vergebung der Sünden zu Johannes dem Täufer am Jordan, um dann folgenlos wieder in den „Alltag“ des mammonistischen Seins zurück zu kehren. Sie identifizierten sich nur mit einer Tradition der Umkehr, ohne allerdings diese Umkehr konkret und wahrhaft zu vollziehen, zu leben. Deshalb lässt Lukas in der Parallelstelle (Lukas 3:7-9) Johannes zu ihnen sagen: „Ihr Schlangenbrut, wer hat denn euch gewiss gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet? Seht zu, bringt rechtschaffene Früchte der Umkehr; und nehmt euch nicht vor zu sagen: Wir haben Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott kann dem Abraham aus diesen Steinen Kinder erwecken. Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt; jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.”

Diese ganze Bevölkerung aus „Judäa und Jerusalem“ besitzt kein Bewusstsein eines tiefen Leids in der Unkultur (die ihnen wohl gar nicht als Unkultur erscheint!), einer profunden persönlichen Entfremdung vom Gesamtzusammenhang (also von Gott), genauso wenig wie ein Gewahr-Sein von ursächlichen entfremdeten und entfremdenden Handlungsweisen, die dieses Leid erzeugen. Sie haben vielleicht ein schlechtes Gewissen, dass sie gegen diese oder jene Regel des Judentums verstoßen haben, das wird aber durch das Bekenntnis dieser „Sünden“ wieder beruhigt, sodass sie weiter in der Unkultur bewusstlos funktionieren können. Als Kinder Abrahams und Mose sahen sie sich nicht genötigt aus diesem Bekennen praktisch konkrete Konsequenzen zu ziehen. Es konnte so zu keiner „Umkehr“ kommen. Das ist die größte Gefahr der hohen Geburt!

Nicht das Leid in der egomanischen Unkultur, also die „Sünde“ führte diese Menschen zusammen an den Jordan, sondern ihre Identifikation mit dem „erwählten Volk Israel“. Nur deshalb waren sie empfänglich für den Ruf in der Wüste abseits der römisch geprägten Unkultur.

Das unkulturelle Leid selbst müsste eigentlich die wichtigste Ermahnung zur authentischen Umkehr sein. Das war jedoch offensichtlich nicht der Fall. Litt das Volk von Judea und Jerusalem denn nicht? Warum konnte es diese wichtige Stimme Gottes des unkulturellen Leids nicht vernehmen? Ein wichtiger Grund dafür ist wohl, dass es sich durch seine starre Identifikation mit dem Volk Israel schon für umgekehrt hielt! Die Juden spürten vielleicht das heilende Leid, das zur Umkehr befähigen kann, konnten dieses Leid aber nicht mit ihrer eigenen Lebensweise in Verbindung bringen, weil sie einfach als gläubige Juden die richtige Lebensweise zu leben, ja zu inkarnieren glaubten!

Das Leid und die Identifikation mit einer Leid überwindenden Ideologie bewirkt noch keine Umkehr, keine bewusste Neuorientierung, kein Heil.

Johannes der Täufer war keiner von ihnen. Er kam nicht aus Judäa und Jerusalem zum Jordan und ging dann wieder zurück. Er lebte in der Wüste und kam von dort aus, wo er die Stimme Gottes vernehmen konnte, an den Jordan, um mit seiner Botschaft und reinigenden Handlung die Menschen aus der Unkultur zur Umkehr zu bewegen. Sein Tun war jedoch ein Misserfolg.

Johannes will mit der Taufe bei den Menschen gewissermaßen erst einmal „tabula rasa“ schaffen. Der erste Schritt dahin ist, dass die Menschen ihre Sünden, ihre inadäquate Lebensweise als solche er-kennen. Sie müssen einsehen, dass ihr durchschnittliches Verhalten überhaupt falsch bzw. sündhaft ist. Das ist die erste Reinigung. Sie geschieht symbolisch in der Wassertaufe. Das taten die Juden, allerdings ohne den Inhalt des Symbols tatsächlich einzulösen. Das Symbol blieb bei ihnen leere Form.

Die zweite Reinigung ist das Bekennen der Sünden. Indem die Menschen öffentlich, vor sich selbst und vor „allen“ die Sünden bekennen, die falschen Handlungsweisen gemeinsam und gegenseitig als inadäquat und schädlich anerkennen, befreien sie sich von deren Macht der Beeinflussung durch die sündige Scheingesellschaft. Wenn man seine eigenen Sünden bekennt und gleichzeitig feststellt, dass alle anderen Menschen im relevanten Umfeld dies auch tun, dann befreit man sich nicht nur von der prägenden Kraft des Falschen, sondern auch von dem gesellschaftlichen Druck, der dieses Falsche immer wieder von Neuem durchsetzt. Es findet auf diese Weise ein kollektives Lösen von den verselbständigten unkulturellen Strukturen statt. Doch das gelang den Leuten aus Judäa und Jerusalem offensichtlich nicht, weil sie durch ihre Identifikation mit dem Volk Abrahams und Mose, das Falsche schon überwunden zu haben glaubten.

Das hätte die Funktion des Täufers für die am Jordan versammelten Juden sein können: die Lösung vom Falschen und vom scheingesellschaftlichen Druck, die mit dem Bekennen und dem Vergeben der Sünden stattfindet. Indem die Menschen anerkennen, dass ihre Lebens- und Handlungsweisen unrecht, bzw. falsch und unangepasst sind, und gleichzeitig sich gegenseitig das dadurch zugefügte Leid vergeben, befreien sie sich davon. Gott selbst vergibt immer. Er selbst kann das Falsche ja nicht beinhalten. Deshalb können ihm die menschlichen Sünder nichts „anhaben“. Warum sollte er also nicht vergeben? Nicht ER leidet unter dem Falschen, sondern die Menschen.

Damit ist der Weg frei für das Wahre, das „Neue“, welches in Wirklichkeit das Ursprüngliche ist. Seine konkreten Inhalte bleiben allerdings noch verborgen im Unerfahrenen. Der Anfang ist zunächst einmal sozusagen eine neue Geburt. Man kann jedoch nicht neu geboren werden, wenn man meint schon neu geboren zu sein durch die pure Zugehörigkeit zu einem „auserwählten Volk“, das vor Generationen, kollektiv neu geboren wurde. Obwohl also „alle aus Judäa und Jerusalem“ zu Johannes kamen, gelangte keiner von ihnen zur tatsächlichen Umkehr nach der Taufe. Das bleib dem Galiläer Jesus vorbehalten, sozusagen ein Israelit zweiter Klasse. Weil seine Identification mit den „rein Geborenen“ nicht zu stark war?

Wo gingen die Judäer und Jerusalemer nach der Taufe hin, was passierte mit ihnen? Darüber wird nicht berichtet. Es ist anzunehmen, dass sie einfach nach Judäa und Jerusalem zurück gingen. Nur Jesus später ging nach der Taufe nicht zurück zur Unkultur und etwas Entscheidendes passierte mit ihm. Er empfing den Heiligen Geist und ging danach in die Wüste, um sich zu prüfen.

Neuformulierung: Und alle Menschen aus Judäa und Jerusalem, die alle Sünder, Entfremdete im Falschen waren, gingen ihrer israelitischen Tradition gemäß allesamt hinaus in eine von der Entfremdung unberührte Gegend, zu Johannes, der mit der Taufe im Jordan ihre Befreiung vom festen Griff der Unkultur symbolisch organisierte, indem er sie ihre Sünden vor Gott gemeinsam und gegenseitig bekennen ließ. Es war jedoch vergebens.

 

HOME